13. Oktober 2014

"Geschichte der O" & "Rückkehr nach Roissy" von Pauline Réage

Und doch stellt O, auf ihre Weise, ein männliches Ideal dar, jedenfalls ein Männerideal. Endlich eine Frau, die es zugibt! Die was zugibt? Das, wogegen die Frauen sich allezeit gewehrt haben (und niemals heftiger als heute). Das, was die Männer aller Zeiten ihnen vorgeworfen haben: daß sie immer nur ihrem Blut gehorchen; daß alles an ihnen Sexus ist, sogar der Verstand. Daß man sie unaufhörlich füttern müßte, unaufhörlich waschen und schminken, unaufhörlich prügeln. Daß sie einfach einen guten Herren brauchen, und zwar einen, der sich hütet vor seiner Güte: denn sobald wir unsere Güte zeigen, beziehen sie daraus allen Elan, alle Freude, alle Leichtigkeit, die sie brauchen, um sich von anderen lieben zu lassen. Kurz, daß man die Peitsche mitnehmen muß, wenn man zu ihnen geht.
aus: "Die Geschichte der O" von Pauline Réage (aus dem Vorwort von Jean Paulhan)

Sie war nicht mehr frei? Ah! Gott sei Dank, sie war nicht mehr frei. Aber sie fühlte sich leicht, Göttin auf der Wolke, Fisch im Wasser, verloren im Glück. Verloren, weil diese feinen Haare, diese Stricke, die René alle in seiner Hand hielt, das einzige Kraftnetz waren, durch das seither der Strom ihres Lebens floß. Das war nur allzu wahr, denn wenn René seinen Griff lockere - oder sie es sich einbildete - wenn er abwesend schien oder sich, voll Gleichgültigkeit, wie O glaubte, von ihr entfernte, oder wenn er sich nicht mit ihr traf oder ihre Briefe nicht beantwortete und sie glaubte, er wolle sie nicht mehr sehen, oder seine Liebe sei im Schwinden oder er liebe sie überhaupt nicht mehr, erstarb alles in ihr, erstickte sie.
aus: "Die Geschichte der O" von Pauline Réage

Aber sie wusste nicht mehr, ob ihr davor graute, Sklavin zu sein - oder nicht genug Sklavin zu sein. Es war weder das eine noch das andere, ihr graute davor, nicht mehr geliebt zu werden. Was hatte sie getan, was hatte sie zu tun unterlassen, dass sie es verdiente, nicht mehr geliebt zu werden? Wie töricht bist du doch, O, als ob es sich um Verdienst handelte, als ob du etwas dabei tun könntest.
aus: "Rückkehr nach Roissy" von Pauline Réage
302 Seiten
Verlag: Deutscher Bücherbund Stuttgart
O, eine erfolgreiche Pariser Modefotografin, wird von ihrem Geliebten René auf das abgelegene Schloss Roissy gebracht. Dort wird sie zur Liebessklavin ausgebildet und darin geschult, stets den Männern auf jede Art zu Diensten zu sein.
Nach ihrer Zeit auf Roissy übergibt ihr Geliebter sie an Sir Stephen, der sich als noch weitaus dominanter als René erweist. O verliebt sich in ihn und unterzieht sich einer noch strengeren Ausbildung und Kennzeichnung.

Jean Paulhan schreibt im Vorwort des Buches, das es den Leser nicht so hinterlassen würde, wie es ihn vorgefunden hätte. Ich weiß nicht, ob ich mich während der Lektüre verändert habe - doch hat mich die "Geschichte der O" auf jeden Fall sehr tief berührt, mehr als ich es mir je hätte vorstellen können.

Dieses Buch gehört zu den Büchern, die ich nicht "verschlingen" konnte, bei denen ich zum Ende hin immer langsamer lesen wollte, weil ich wusste - bald ist es vorbei!

Die "Geschichte der O" von Pauline Réage ist definitiv nichts für Zartbesaitete. Obwohl die Erzählung ohne sonderlich obszöne Ausdrücke auskommt, ist sie einfach stellenweise brutal. Es wird von Folter, von Pein, von Vergewaltigung, von unvorstellbaren Qualen berichtet - und genau wie O selbst fragte ich mich als Leser manchmal, wie weit man sich selbst aufgeben dürfe, sei es aus Liebe oder aus Lust. Wie man Lust empfinden könne, indem man sich aufgibt.

Der Leser erfährt von Os eigenen Zweifeln, von ihren Gedanken, was es über sie aussage, dass sie solche Lust dabei empfinde, sich auszuliefern, sich zu unterwerfen. Ich war fasziniert, schockiert, gefesselt, gebannt - als Leserin habe ich mich mit O quasi eins gefühlt. 

Die "Geschichte der O" ist einfach ein Klassiker und wer sich für dieses Genre interessiert, sollte es auf jeden Fall gelesen haben! Wer allerdings erwartet, hier etwas im Stile von "Shades of Grey" zu lesen, sollte gewarnt sein: Es ist keineswegs vergleichbar. Die "Geschichte der O" ist so viel brutaler - doch auch so viel faszinierender und bietet einen manchmal schockierenden Einblick in die Gedankenwelt einer Frau, die Lust dabei empfindet, sich auszuliefern.

Besonders "verloren" hat mich das Zusatzkapitel "Rückkehr nach Roissy" zurückgelassen. Auch hier habe ich mich noch eins mit O gefühlt und habe dementsprechend stark ihren Schmerz, ihren Verlust gespürt, als Sir Stephen sich von ihr abgewandt hat... Nach dem letzten Satz saß ich noch einge Zeit mit dem Buch in der Hand da, weil ich nicht glauben wollte, dass das nun wirklich das Ende war ;-) 

Keine Kommentare:

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...